Das
Vorstellungsgespräch kann in entspannter Atmosphäre stattfinden, für den
Arbeitnehmer aber auch durchaus zu einem "heißen Stuhl" werden. Nicht
selten will der Arbeitgeber heikle oder gar intime Sachen wissen. Dann stellt
sich die Frage, ob der Arbeitnehmer in einer solchen Situation bei der Wahrheit
bleiben muss oder sogar lügen darf.
Diese
Frage hat ganz erhebliche Konsequenzen. Ein Arbeitgeber könnte sich immer dann,
wenn ihm im Vorstellungsgespräch vom Bewerber etwas falsch dargestellt wurde,
auf einen Irrtum oder eine Täuschung berufen und den geschlossenen
Arbeitsvertrag anfechten. Denn ein Arbeitsvertrag kommt wie jeder andere
zivilrechtliche Vertrag durch die Abgabe entsprechender Willenserklärungen zu
Stande. Das deutsche BGB sieht vor, dass solche Willenserklärungen bei
fehlerhafter Willensbildung (zum Beispiel wegen Irrtums oder Täuschung)
angefochten werden können (§§ 119 ff. BGB). Demnach könnte sich ein Arbeitgeber
immer dann, wenn ihm im Vorstellungsgespräch vom Bewerber etwas falsch
dargestellt wurde, auf einen Irrtum oder eine Täuschung berufen und den
geschlossenen Arbeitsvertrag anfechten.
Dies
erscheint - je nach Sichtweise - ungerecht, da sich die Parteien in einem
Bewerbungsgespräch für gewöhnlich nicht gleich stark gegenüberstehen. Meistens
ist es so, dass der Bewerber derjenige ist, der sich um einen Arbeitsplatz
aktiv bewerben muss und nicht umgekehrt. Der Bewerber kann dem Arbeitgeber
daher meist selten dominant gegenübertreten, zum Beispiel durch Verweigern
einer Antwort.
Nach
der Rechtsprechung gilt daher der Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer in einem
Bewerbungsgespräch nur diejenigen Fragen wahrheitsgemäß beantworten muss, an
denen der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse hat. Dies ist - abstrakt
gesprochen - der Fall, wenn die Frage einen Umstand betrifft, der für den
Vertragsschluss wesentlich ist. Hat der Arbeitgeber kein berechtigtes Interesse
im Hinblick auf den befragten Umstand, so darf der Arbeitnehmer die Frage
vorsätzlich falsch beantworten. Der Bewerber hat dann ein Recht zur Lüge.
Die
Rechtsprechung hat in Fallgruppen herausgearbeitet, welche Tatsachen der
Bewerber offenbaren muss bzw. bei welchen Fragen des Arbeitgebers der Bewerber
lügen darf:
Erhebliche gesundheitliche Mängel
Der
Arbeitnehmer muss in einem Vorstellungsgespräch bestimmte Tatsachen sogar
ungefragt offenbaren. Dies sind alle Umstände in seiner Person oder in seinen
persönlichen Verhältnissen, die für das Arbeitsverhältnis von wesentlicher
Bedeutung sind. Meist sind dies jene Tatsachen, die dazu führen, dass der
Bewerber die für ihn vorgesehenen Arbeiten für einen längeren Zeitraum nicht
erfüllen kann.
So
entschied beispielsweise das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass ein Arbeitnehmer
über gesundheitliche Mängel von sich auf aufklären muss. Dies jedenfalls dann,
wenn ihm wegen eines nicht nur kurzfristigen Leidens (z.B. Epilepsie) die
notwendige Fähigkeit fehlt oder erheblich beeinträchtigt ist, die vertraglich
übernommene Arbeit auszuführen (BAG, Urteil vom 28.03.1974, Az. 2 AZR 92/73);
so zum Beispiel bei einem Dachdecker.
Schwangerschaft
Problematisch
ist die Frage nach einer Schwangerschaft. So entschied das BAG noch 1993, dass
die Frage nach der Schwangerschaft vor Einstellung ausnahmsweise sachlich
gerechtfertigt ist, wenn sie dem gesundheitlichen Schutz der Bewerberin und des
ungeborenen Kindes dient, zum Beispiel bei einer Arzthelferin (BAG, Urteil vom
01.07.1993, Az. 2 AZR 25/93).
2003
gab das BAG diese Rechtsprechung auf und entschied, dass die Frage des
Arbeitgebers nach einer Schwangerschaft regelmäßig gegen das Verbot
geschlechtsbezogener Benachteiligung (§ 611a BGB) führe. Das gelte auch dann,
wenn die Frau die vereinbarte Tätigkeit wegen eines mutterschutzrechtlichen
Beschäftigungsverbotes zunächst nicht aufnehmen kann (BAG, Urteil vom
06.02.2003, Az. 2 AZR 621/01).
Frühere Stasi-Mitarbeit
Im Jahre 2000 setzte sich das Bundesarbeitsgericht
mit der Frage auseinander, ob ein Bewerber im öffentlichen Dienst nach früheren
Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR gefragt werden
darf. Das BAG entschied, dass jedenfalls nach vor 1970 abgeschlossenen
Tätigkeiten gefragt werden darf, wenn diese Tätigkeiten besonders schwer
wiegen. Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage könne dann unter
Umständen die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung
rechtfertigen (BAG, Urteil vom 06.07.2000, Az. 2 AZR 543/99). Die Folge wäre
dann, dass der Arbeitsvertrag nichtig ist.
Vorstrafen
Die
Frage nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ist ebenso wie die
Frage nach Vorstrafen nur eingeschränkt zulässig. Denn Vorstrafen berühren ein
einzugehendes Arbeitsverhältnis zunächst einmal nicht. Außerdem muss zugunsten
des Arbeitnehmers der Resozialisierungsgedanke berücksichtigt werden.
Natürlich
gibt es Ausnahmen: In manchen Fällen können verübte Straftaten negative
Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit für die Pflichterfüllung im geplanten
Arbeitsverhältnis zulassen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein bei
Vermögensstraftaten eines Bewerbers um eine Einstellung als Bankkaufmann oder
bei Trunkenheitsdelikten eines Berufskraftfahrers.
Fragen
nach Vorstrafen sind daher nur dann zulässig, wenn sie sich auf das für den zu
besetzenden Arbeitsplatz relevante Strafrechtsgebiet beziehen (vergleiche z.B.
LAG Hamm, Urteil vom 10.03.2011, Az. 11 Sa 2266/10).
Freiheitsstrafen
Eng
mit der Frage nach Vorstrafen verbunden ist die Frage nach Freiheitsstrafen.
Zwar muss über bereits verbüßte Freiheitsstrafen nur in den zuvor genannten
Fällen aufgeklärt werden. Anders ist dies jedoch, wenn eine Freiheitsstrafe
noch ansteht. So muss ein Arbeitnehmer, der sich um eine Daueranstellung
bewirbt, von sich aus und ungefragt eine bereits rechtskräftige und demnächst
zu verbüßende mehrmonatige Freiheitsstrafe offenbaren.
Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die zur
Verbüßung anstehenden, abgeurteilten Straftaten ihrerseits für das vorgesehene
Arbeitsverhältnis "einschlägig" sind (LAG Hessen, Urteil vom
07.08.1986, Az. 12 Sa 361/86).
Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft, Partei oder Konfession
Fragen
nach der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft oder Partei sowie Fragen nach der
Konfession sind zumindest im Bewerbungsgespräch unzulässig und dürfen falsch
beantwortet werden. Es handelt sich hierbei um verfassungsrechtlich verbürgte
Rechte des Arbeitnehmers, an denen der Arbeitgeber in der Regel kein
schützenswertes Informationsinteresse hat.
Merkmale nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Das
allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) enthält mehrere Merkmale, die bei
einer Neueinstellung oder Beförderung keine Berücksichtigung finden dürfen.
Diese Merkmale sind Rasse, ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion
oder Weltanschauung, eine Behinderung, das Alter und die sexuelle Identität.
Fragen
nach solchen Merkmalen könnten grundsätzlich unzulässig sein. Zwar hat zum
Beispiel das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Frage nach einer Körperbehinderung
im Bewerbungsgespräch zulässig sei, wenn diese erfahrungsgemäß die Eignung des
Arbeitnehmers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigt (BAG, Urteil vom
07.06.1984, Az. 2 AZR 270/83). Diese Entscheidung erging allerdings im Jahre
1984 und damit lange Zeit vor Inkrafttreten des AGG. Insofern steht klärende
Rechtsprechung zu dieser Frage unter Geltung des AGG noch aus.
Fazit
Wird
ein Arbeitsvertrag wegen unrichtiger Angaben im Bewerbungsgespräch angefochten
oder gekündigt, kommt es immer auf den Einzelfall an, ob die Lüge berechtigt
war oder nicht. Dazu bedarf es guter Kenntnisse der einschlägigen
Rechtsprechung. Die Arbeitsrechtler der KANZLEI GÖDDECKE beraten Sie hierzu
gerne.
30. August 2011
(Rechtsanwalt Ralf Koch)