Beispiele:
- Der Vertriebsmitarbeiter im Außendienst verursacht alkoholisiert in
seinem Dienstwagen einen Verkehrsunfall, die Versicherung springt nicht ein.
- Ein Kranführer beschädigt durch Unachtsamkeit bei Bauarbeiten ein
anderes Haus.
- Durch ungeschicktes Verhalten eines Mitarbeiters geht ein wichtiger
Kunde verloren.
Stufenmodell des Bundesarbeitsgerichts
In solchen und ähnlichen Fällen
stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer den
Ersatz des entstandenen Schadens verlangen kann. Das Bundesarbeitsgericht (z.B.
BAG, Urteil vom 19.03.1959, Az. 2 AZR 402/55) hat für solche Fälle ein
gestuftes Modell entwickelt, dass sich wie folgt zusammenfassen lässt:
- Bei Vorsatz ist der Arbeitnehmer
nicht schutzwürdig, muss also den gesamten Schaden tragen.
- Bei grober Fahrlässigkeit hat der
Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen.
- Bei „normaler“ Fahrlässigkeit ist
der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu
verteilen. Dabei sind die Gesamtumstände von Schadensanlass und Schadensfolgen
nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander
abzuwägen.
- Bei leichtester Fahrlässigkeit
haftet der Arbeitnehmer nicht.
Ursprünglich galt dieses Stufenmodell nur für
gefahrgeneigte Tätigkeiten.
Als gefahrgeneigt wird eine Arbeit
angesehen, die es mit großer Wahrscheinlichkeit mit sich bringt, dass auch dem
sorgfältigsten Arbeitnehmer gelegentlich Fehler unterlaufen, die zwar für sich
allein betrachtet vermeidbar sind, mit denen aber als einem typischen Abirren
der Dienstleistung angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit erfahrungsgemäß
zu rechnen ist (BAG, Urteil vom 12.10.1989, Az: 8 AZR 741/87).
Seit einem Beschluss des großen
Senats beim Bundesarbeitsgericht (BAG GS, Beschluss vom 27.09.1994, Az. GS 1/89
(A)) gelten diese Grundsätze allerdings nicht mehr ausschließlich für
gefahrgeneigte Tätigkeiten, sondern für alle betrieblich veranlassten
Tätigkeiten.
Dieses „Modell“ darf aber
keinesfalls als statisch angesehen werden. Das BAG stellt immer wieder auf die
konkreten Umstände des Einzelfalls ab.
Der Hintergrund dieser
Rechtsprechung ist, dass schon einfache Unaufmerksamkeiten des Arbeitnehmers
einen erheblichen Schaden verursachen können, welcher in keinem vernünftigen
Verhältnis zum jeweiligen Arbeitslohn steht. Müsste der Arbeitnehmer für die
von ihm verursachten Schäden stets oder bei nicht gefahrgeneigter Tätigkeit
voll einstehen, wäre seine Existenz regelmäßig gefährdet.
Tätigkeit betrieblich veranlasst?
Streit entzündet sich häufig bei der
Frage, ob eine bestimmte Tätigkeit betrieblich veranlasst war. Die
Rechtsprechung differenziert danach, ob ein innerer Zusammenhang zwischen der
betrieblichen Tätigkeit und dem Schadenereignis (Verfolgung betrieblicher
Zwecke) vorliegt oder nicht (vgl. BAG, Urteil vom 21.10.1983, Az. 7 AZR
488/80).
So musste sich beispielsweise das
Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin mit folgendem Fall auseinandersetzen:
Ein bei einer Bank angestellter
Anlageberater führte vereinzelt auch so genannte Eigengeschäfte durch. Diese
waren auf die Vermittlung von durch die Bank nicht geprüften Fremdprodukten
gerichtet und wurden im Namen der Bank, aber auf eigene Rechnung und mit
eigenem Provisionsanspruch gegenüber Dritten ausgeführt. Die Bank wurde im Rahmen
eines solchen Eigengeschäfts wegen fehlerhafter Anlageberatung erfolgreich auf
Schadensersatz verklagt und nahm nun den Anlageberater in Regress.
Das LAG Berlin kam hier zu dem
Schluss, dass keine betrieblich veranlasste Tätigkeit vorlag, sodass der angestellte
Anlageberater sich nicht auf eine Haftungsbeschränkung berufen konnte (LAG
Berlin, Urteil vom 27.08.2002, Az. 3 Sa 199/02).
Wie fahrlässig war der Arbeitnehmer?
Bei Haftungsprozessen zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer stellt sich oft die Frage, wie fahrlässig ein
Fehlverhalten des Arbeitnehmers einzustufen ist. Zur Veranschaulichung dienen
folgende Fälle, die vor Gericht ausgetragen wurden:
Leichteste Fahrlässigkeit:
Von leichtester Fahrlässigkeit ging
das LAG Rheinland-Pfalz in folgendem Fall aus:
Bei einer Fahrt mit einem Sattelzug
des Arbeitgebers fuhr der Arbeitnehmer auf das Betriebsgelände eines
Gartencenters. Er wollte dort wenden, um das Fahrzeug zur Übernachtung
abzustellen. Dabei stieß er infolge von Unachtsamkeit gegen das Vordach des
Gartencenters, beschädigte dieses und den Sattelzug. Zu Gute kam dem
Arbeitnehmer hier auch, dass es zum Unfallzeitpunkt dunkel und regnerisch war
(LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.02.2006, Az. 4 Sa 779/05).
Normale Fahrlässigkeit:
Ein instruktives Beispiel für
normale Fahrlässigkeit liefert eine Entscheidung des LAG Sachsen-Anhalt (Urteil
vom 26.05.2010 - Az. 5 Sa 66/09):
Ein Arbeitnehmer wollte als
Kraftfahrer mit einem LKW mit einer Gesamthöhe von 3,80 m unter einer
Eisenbahnunterführung durchfahren, bei welcher die Durchfahrt allerdings auf
3,40 m beschränkt war, was auch durch entsprechende Verkehrszeichen angezeigt
war. Es kam zu einer Beschädigung des LKW und der Eisenbahnunterführung. Das
LAG ging hier von normaler Fahrlässigkeit aus und hielt eine 50%ige Haftung des
Arbeitnehmers für angemessen. Dabei wurde berücksichtigt, dass es sich bei dem
Arbeitnehmer um einen Berufsanfänger als Kraftfahrer handelte. Die Berechtigung
zum Führen eines LKW erlangte er während seines Wehrdienstes. Er verfügte nicht
über eine Ausbildung als Kraftfahrer. Außerdem nahm er seine Tätigkeit erst
eine Woche vor dem Unfall auf, verfügte also über keine nennenswerte
Berufserfahrung im Betrieb des Arbeitgebers.
Grobe Fahrlässigkeit:
Ein deutliches Beispiel für grobe
Fahrlässigkeit liefert folgender Fall:
Eine in einer radiologischen Praxis
beschäftigte Reinigungskraft, welche monatlich 320 EUR verdiente, beschädigte
einen Magnetresonanztomographen (MRT). Sie wollte einen Alarmton am MRT
ausschalten und drückte dazu diverse Knöpfe, deren Bedeutung sie allerdings
nicht kannte. Dadurch entstand am MRT ein Sachschaden von rund 30.000 EUR. Das
BAG hat dieses Verhalten als grob fahrlässig eingestuft. Allerdings hielt es
angesichts der Umstände des Einzelfalls eine Beschränkung der Haftung auf ein
Jahresgehalt für angemessen. Denn selbst bei gröbster Fahrlässigkeit sei eine
Haftungsverteilung nicht grundsätzlich ausgeschlossen (BAG, Urteil vom
28.10.2010, Az. 8 AZR 418/09).
Fazit:
Verursacht der Arbeitnehmer einen
Schaden, verbieten sich schematische Antworten darauf, wer den Schaden tragen
muss. Das Bundesarbeitsgericht hält mitunter selbst bei grober Fahrlässigkeit
des Arbeitnehmers eine Haftungsbeschränkung für angemessen.
23.03.2011 (Rechtsanwalt Ralf Koch)